Bahnanbindung Esens - Bensersiel
Am 05.07.2012 wurde eine zuvor bei der Firma ConTrack Consulting aus Hannover in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie im Kreishaus Wittmund vorgestellt.
Schlagzeile des „Harlinger“ am nächsten Tage auf der Titelseite:
„ Bahnverlängerung ein absolutes Muss“
Diese Studie sollte Antwort und Aufschluss darüber geben, ob und auf welche Art eine Bahnanbindung Bensersiels sowie der Lückenschluss / Reaktivierung der Küstenbahnlinie von Esens nach Norden technisch machbar sei.
Die Antwort konnte logischerweise nur Ja lauten, denn technisch sind heute ohne jeden Zweifel sehr viel anspruchsvollere Projekte durchführbar.
Wohin die Reise gehen soll, wurde auch schnell erkennbar.
Angefangen beim Wirtschaftsförderkreis über den Landrat bis hin zu dem Hotelier Kröger herrschte Übereinstimmung darüber, dass die Bahnverlängerung bzw. der Lückenschluss nur Segen über unsere Region bringen werde.
So stellt der Vorsitzende des Wirtschaftsförderkreises in Merkel-Manier fest: „Dazu gibt es keine Alternative“.
Wie er zu dieser Überzeugung gekommen ist, dazu noch in diesem Frühstadium, wird wohl sein Geheimnis bleiben.
In einem überdimensionalen Pressebericht kamen viele weitere Mandatsträger
zu Wort, die das Vorhaben in höchsten Tönen schön redeten, natürlich mit dem Ziel, die Öffentlichkeit für ihre Ziele zu gewinnen und entsprechend zu beeinflussen.
Die unmissverständliche Überschrift und somit Botschaft an die Bürger :
„Bahnverlängerung unverzichtbar für die Region. Ziel : Autofrei zum Fährhafen Bensersiel - Ostumgehung der Stadt Esens die Lösung“
Zwölf Tage später, also am 24.07.2013 ,erfuhren die Leser des „Anzeiger“ unter der Überschrift „Jetzt ist Esens am Zug“, dass die Studie erneut vorgestellt wurde, diesmal in Esens und bezeichnenderweise im Hotel Kröger.
Vortragende waren der Vorsitzende des Wirtschaftsförderkreis sowie der Vertreter der Firma ConTrack Consulting.
Das Ergebnis der ausschließlich technischen Studie war, dass zwei mögliche Korridore ausgemacht worden waren für eine zukünftige Trassenführung nach Bensersiel:
- Eine Trassenführung westlich von Esens, wobei noch ungeklärt ist,
ob eine Überquerung der Bahnhof-/Auricher-Straße bahntechnisch zulässig ist oder etwa eine Untertunnelung oder Überführung der Straße notwendig werden könnte.
- Eine zweite Trassenführung östlich von Esens, mit der Zusatzvariante südöstlich abzweigend von der vorhandenen Trasse der Nord-Westbahn in Höhe Langstrich.
Um den Druck in der Bevölkerung und auf den Rat der Stadt aufrecht zu erhalten,
veröffentlichte der „Anzeiger“ auf zwei ganzen Seiten am 18.August 2012 unter der Schlagzeile:
„ Eine ganze Region will den Zug nicht verpassen“
erneut Stellungnahmen hiesiger Kommunalpolitiker sowie anderer Mandatsträger.
Die Aussagen reichen, wen wundert es, von „unverzichtbar“, über „ es gibt keine Alternative“ ( wieder einmal ) bis hin zu der Behauptung „ die Bahnverlängerung ist wichtig für die Sicherung der Arbeitsplätze“
Dabei werden weitere Details und Zahlen bekannt. Jetzt ist von drei Trassenführungen die Rede.
Geschätzte Kosten: 22,2 Millionen Euro
Bei der Variante drei muss jedoch berücksichtigt werden, dass vermutlich eine niveaugleiche Querung der Auricher Straße nicht zulässig ist und somit Kosten
einer Über-oder Unterführung hinzukommen. Die Kosten dafür dürften sich im zweistelligen Millionenbereich bewegen.
Außerdem: Der Lidl Markt müsste verlegt werden. Kosten noch unbekannt.
In kontroversen Diskussionen wurde das Bahnprojekt in den Gremien der Stadt behandelt.
Einen Beschlussvorschlag des Stadtdirektors, über die zukünftige Trasse zu entscheiden, konnten wir abwehren mit Hinweis darauf, dass es zu dem Projekt noch nicht einmal einen Grundsatzbeschluss gebe.
Eine Entscheidung zum Trassenverlauf hätte uns somit als konkludentes Verhalten ausgelegt werden können, wenn es um die Frage gegangen wäre, ob wir überhaupt die Bahnanbindung für Bensersiel wollen.
Wie ist die Rechtslage zurzeit in Esens?
In einer Sitzung des Rates der Stadt Esens vom 15.Oktober 2012 wurde mit 12 Ja-Stimmen und 6 Nein-Stimmen folgender Beschluss gefasst:
Das bedeutet, dass unser Anliegen, getrennt über die Bahnanbindung Bensersiels und die Reaktivierung der Strecke Esens-Norden abzustimmen, von der Ratsmehrheit
abgelehnt wurde.
Das bedeutet aber auch, dass es noch keinen verbindlichen Beschluss gibt, ob überhaupt und wenn ja, unter welchen Konditionen eine Streckenverlängerung gewollt wird.
Unsere Position zu dem Projekt Bahnanbindung:
Wir halten die beabsichtigte Bahnanbindung Bensersiels aus vielen Gründen für nicht zielführend und vor allem wirtschaftlich für nicht vertretbar.
Nachfolgend unsere Gründe im Einzelnen.
Gegen mannigfaltigen Widerstand gelangten wir in den Besitz der vom Wirtschaftsförderkreis in Auftrag gegebenen „Studie für eine optimierte Touristen-Logistik für Esens, Bensersiel, Neuharlingersiel und Harlesiel unter besonderer Berücksichtigung der Verbesserung des Personentransportes zu den Inseln Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge“ vom April 2010
Kurzfassung: Optimierte Tourismus-Logistik, 89 Seiten stark
Diese Studie wurde einem begrenzten Teilnehmerkreis anlässlich der „Elften Langeooger Gespräche“ vom 23.-24.04.2010 vorgestellt.
Verfasser war Professor Bode von der Fachhochschule Osnabrück in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum für Verkehr& Logistik (LOGIS Net).
Die Ausgangsfrage für das Gutachten war: Wie lässt sich die alte Bahntrasse nach Bensersiel und damit an die Nordseeküste und zu den Inseln zukünftig für den Touristentransport nutzen?
Da das Ergebnis der Studie offensichtlich nicht den Erwartungen der Auftraggeber zugleich Befürworter der Bahnanbindung entsprach, wurde die Studie verständlicherweise unter Verschluss gehalten.
Hier einige Kernaussagen aus der Studie:
- Alte Strecke der ehemaligen Kleinbahn kann nicht mehr genutzt werden, also Umgehungsstrecke notwendig.
- Umgehung problematisch, da wegen der längeren Strecke kostenintensiver und mehrfache Straßenkreuzungen erforderlich
- LVNG sieht die Bahnverlängerung unter volks- und betriebswirtschaftlichem Blickwinkel kritisch und vertritt den Standpunkt, dass „öffentliche Gelder immer den größten Nutzen für die Allgemeinheit erbringen müssen“.
- Nordwest-Bahn hält Bahnanschluss hinsichtlich der Infrastrukturkosten für möglich. Sie schätzt die Infrakosten auf ca. 10 Millionen Euro, die Betriebskosten für die Hin-und Rückfahrt auf ca. 4500,- € pro Tag
- Das sind 1,65Mio.Betriebskosten € im Jahr
- Die Reaktivierung könnte nur dann realistisch werden, wenn eine ausreichende Nachfrage betätigt und der Vorteil gegenüber dem aktuellen Busverkehr belegt werden kann.
- Bei der Annahme von 4.500 € Betriebskosten pro Tag und einem Fahrpreis von 2,70 € pro Person und Strecke (aktueller Buspreis des VEJ) wären täglich mindestens 834 Fahrgäste auf der Hin und Rückfahrt für eine Kostendeckung erforderlich. Die jährlichen Betriebskosten würden damit 1.642.500 € betragen.
- Sollte die Strecke Esens -Bensersiel tatsächlich reaktiviert werden, würde das jedoch lediglich eine punktuelle Verbesserung (was zweifelhaft sein dürfte) der Anreise nach Bensersiel und Langeoog bedeuten, nicht jedoch für die gesamte Küstenregion bzw. die Inseln Spiekeroog und Wangerooge.
- Und was wäre mit Neuharlingersiel, einer Mitgliedsgemeinde unserer Samtgemeinde Esens?
Aus obiger Darstellung lässt sich unschwer ableiten, dass die Bahn, abgesehen von den hohen Investitionskosten, nie in der Lage sein wird, sich auch nur annähernd wirtschaftlich selbst zu tragen bzw. zu rechnen.
Woher soll das Geld also kommen und welcher Betreiber kann sich ein solches Minusgeschäft auf Dauer denn überhaupt leisten?
Deutschlandweit gibt es keinen regionalen OEPNV - Betrieb, der insgesamt volkswirtschaftlich gesehen wirtschaftlich betrieben werden kann.
Nahe an einer Rentabilität sind lediglich einige Betreiber in Ballungszentren wie z.B.im Ruhrgebiet.
Die geplante Bahnstrecke Esens-Bensersiel würde vergleichsweise im Mittel eine Auslastung von weniger als 10% erreichen.
Allerdings hätte ein potentieller Betreiber, wie z.B. die Nordwest-Bahn, damit kein Problem.
Dieser Betreiber würde von der Landesregierung einen Beförderungsauftrag bekommen mit einer Bezahlung aus der öffentlichen Hand, die sogar noch einen Gewinn sicherstellt.
Das Land könnte diese Ausgaben natürlich nicht annähernd aus den Fahrkarteneinnahmen refinanzieren.
Die Kostendifferenz wird also aus Steuerumlagen des Bundes an die Länder- aus der Mineralölsteuer kommend – plus eigener Steuereinnahmen ausgeglichen werden müssen.
Nebenbei bemerkt: volkswirtschaftlich wäre es sehr viel sinnvoller, allen interessierten Touristen/Gästen eine Bahnfahrkarte von Sande bis Bensersiel zu verkaufen (oder sogar ab Heimatbahnhof), die einen Taxi-oder Busgutschein enthält und von der öffentlichen Hand in Gemeinschaft refinanziert wird.
Oder: Hotels und Vermieter könnten damit werben, Taxi-oder Buskosten, ggfs. auch Gepäckbeförderungskosten ab Esens zu erstatten, um damit die Bürger zu entlasten.
Aus dem prognostizierten Gewinnzuwachs könnten diese Kosten entnommen werden.
Aus o.g. Fakten wird ersichtlich, dass wir sehr viel Geld ausgeben würden, um letztendlich eine Geisterbahn zu bekommen.
Welche Gründe sprechen noch gegen das Bahnprojekt?
Bislang gibt es nur Behauptungen, dass eine Bahnanbindung zusätzliche Gäste nach Bensersiel bzw. nach Langeoog bringen würde.
Diese Behauptung ist durch nichts belegt.
Tatsache aber ist, für einen Gästezuwachs braucht man immer drei Dinge:
Eine bequeme und vor allen Dingen sehr viel preiswertere Anreise als die Bahn bieten die seit Jahresbeginn in Deutschland zugelassenen Fernbusse.
Gerade in Zeiten knapper Familienkassen werden viele Gäste auf den Bus ausweichen, der nicht nur eine Punkt zu Punkt Verbindung bietet, sondern darüber hinaus preislich bis um mehr als die Hälfte unter den Bahnkosten liegt.
So gibt es bereits „Mein-Fernbus – Linien“ von Ostfriesland nach Nordrhein-Westfalen mit Haltestellen wie z.B. Köln, Wuppertal, Dortmund, Neuharlingersiel, Bensersiel, Esens, Norden, Essen und Düsseldorf.
Schon jetzt haben sich mehr als zweihundert Fernbus-Linien etabliert und das Angebot steigt ständig weiter.
Bei Familien mit Kindern lohnt es sich finanziell allemal, auch mit Blick auf das mitzuführende umfangreiche Gepäck, auf den preisgünstigen Bus umzusteigen, sofern man nicht ohnehin das eigene Auto benutzt.
Auch ältere Verkehrsteilnehmer, also Senioren, wollen nach einer unlängst durchgeführten forsa Meinungsumfrage so lange wie möglich mobil bleiben.
In der Umfrage entschieden sich 85 % für das eigene Auto. Für sie bedeutet die Nutzung des eigenen Kfz soziale Teilhabe und Lebensqualität.
Nichts also spricht für die These, eine Bahnanbindung könnte mehr Gäste für unsere Region generieren.
Wenn also ein Gästezuwachs nicht zu erwarten ist, zumindest aber sehr zweifelhaft ist, warum sollten dann Millionen Euro vergeudet werden, die besser in der Sanierung maroder Straßen, Brücken, vorhandener Schienennetze und abgängiger Autobahnen aufgehoben wären?
Warum soll die Existenz ansässiger Taxi- und Busunternehmer gefährdet werden?
Warum sollte unsere Landschaft mutwillig zerschnitten und Naturschutzgebiete erneut zerstört werden?
Die Entlastungsstraße Bensersiel dürfte Warnung genug sein.
Ganz sicher gäbe es unabsehbare Streitigkeiten mit Landwirten um den für die Trasse notwendigen Landbedarf, vermutlich verbunden mit Rechtsstreiten und Enteignungsverfahren.
Wenn einige immer noch ökologische Gründe als Rechtfertigung anführen, so darf darauf hingewiesen werden, dass Busse im Vergleich mit den dieselbetriebenen Triebwagen die bessere Ökobilanz vorweisen können.
Ein letzter, nicht ganz unwichtiger Punkt, der gegen die Bahnanbindung spricht:
Esens wäre aufgrund der derzeitigen finanziellen Situation, verursacht durch das Missmanagement im Kurverein und der damit verbundenen Überführung dessen wirtschaftlichen Teils in einen stadteigenen Eigenbetrieb, nicht in der Lage, die von der Stadt aufzubringenden anteiligen Kosten in Höhe von 25% aufzubringen.
Darüber hinaus steht zu befürchten, dass sich die Schulden unserer Stadt wegen der Entwicklung in der Angelegenheit der Entlastungsstraße noch weiter dramatisch erhöhen werden.
Wir können also nur hoffen, dass die verantwortlichen Kommunalpolitiker klug abwägen und sich dabei nicht durch die Aussicht auf Zuschüsse von dritter Seite verlocken lassen, den Bau der potentiellen Geisterbahn weiter zu verfolgen.
Ein Blick über den Tellerrand würde uns gut zu Gesicht stehen, durch verbissene Kirchturmpolitik kämen auf uns noch nicht absehbare Folgekosten zu, die wir einfach nicht leisten können.
Wir wissen, dass der überwiegende Teil der Befürworter mit guter Absicht handelt, dennoch bitten wir, alle Argumente für und wider sorgfältig zu prüfen.
Dann sollte uns nicht bange sein um die Stadt und unsere noch weitgehend intakte Landschaft.