Von Thomas Schumacher Was bedeutet das runde Verkehrsschild, rot
umrandet, mit weißer Innenfläche? Der
stellvertretende Bürgermeister von Esens, Heiko
Willms (SPD), ereifert sich. Richtig: Durchfahrt
verboten – für alle Verkehrsteilnehmer. Ein
solches Schild steht am Rand der Umgehungsstraße
im ostfriesischen Bensersiel. Nur hält sich kaum ein Autofahrer daran. Genauso
wenig, wie sich die Gemeinde mit Hafen nach
Langeoog an die Gesetze gehalten hat. Das hat jetzt das Verwaltungsgericht Oldenburg
bestätigt. Die Umgehungsstraße in Bensersiel darf nicht nur – wie bislang –
mit einem Verbotsschild markiert werden. Sie muss komplett gesperrt
werden. Niemand darf mehr darüberfahren. Wahrscheinlich droht sogar der Abriss. Der Bau der Straße war von Anfang an illegal. Das stellten 2013 und 2014
das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg und das Bundesverwaltungsgericht fest.
Die Gemeinde hat das nicht gestört.
Sie baute die Straße mit Fördergeldern des Landes trotzdem, ließ sie dann offen
und stellte nach einem Gerichtsbeschluss wirkungslose Schilder
„Durchfahrtsverbot“ auf. Was die meisten Autofahrer geflissentlich ignorierten.
Dem hat das Verwaltungsgericht jetzt ein Ende gesetzt. Die Geschichte der Umgehungsstraße(taz berichtete)ist ein Provinzdrama,
in dem das Dollarzeichen in den Augen der Lokalpolitiker, persönliche
Beziehungen und ein skrupelloser Umgang mit dem Recht die Hauptrollen spielen. 2011 wurde die Umgehungsstraße fertiggestellt. Die 2,1 Kilometer kosteten
über acht Millionen Euro, davon waren 5,4 Millionen Euro Zuschuss vom Land
Niedersachsen. Ohne die hätte die Straße nicht gebaut werden können. Schon zu diesem Zeitpunkt stand fest: Die Straße ist illegal.
Denn sie führte durch ein „faktischesVogelschutzgebiet“. Diese potenziellen Schutzgebiete stehen nach EU-Recht unter Schutz und dürfen
nicht bebaut werden. Weder die Gemeinde noch die Nationalpark- verwaltung in
Wilhelmshaven ließen sich davon beeindrucken. Es kommt noch schlimmer. „Das Umweltministerium und der damalige Umweltminister
Hans- Heinrich Sander (FDP) haben uns versichert, da ist kein Vogelschutzgebiet.
Und wenn einem der Minister wassagt, dann wollen wir doch nicht klüger sein als
der“, schimpft der stellvertretende Bürgermeister von Esens, Heiko Willms. Das Ministerium hätte die Gemeinde geradezu gedrängt, die Umgehungsstraße zu
bauen, sonst,so Willms, hätten sie mit dem Verfall der 5,4 Millionen Euro
Fördergelder gedroht.
Die ostfriesische Umweltvereinigung „Wattenrat“ hatte schon früh auf das
faktische Vogelschutzgebiet hingewiesen. Auf entsprechende Fragen und Forderungen nach einer Prüfung schwiegen die
Verantwortlichen aus der Verwaltung und schauten verlegen zu Boden. Augen zu und durch?
Nein,es wurde im Nachhinein versucht, die Grenzen des Vogelschutzgebietes
zu manipulieren – ohne Erfolg, wie die Gerichtsbeschlüsse beweisen. Um die Straße überhaupt bauen zu können, brauchte die Gemeinde die entsprechende
Fläche. Die hatte sie nicht. Also enteignete sie kurzerhand den Eigentümer. Er und seine Familie waren alteingesessene Bensersieler, die einen Bauernhof
mit Milchwirtschaft betrieben. Der heutige Nachfahre wohnt in Dortmund . „Fremschied“, wie man in Ostfriesland
sagt. Der Bauernhof war verpachtet, durch die Enteignungwurde das Weideland
zerschnitten und die Milchwirtschaft eingeschränkt. Die Enteignung, wie auch der Straßenbau, wurden von den Gerichten als
illegal und damit nichtig erklärt. Bis heute hat der Eigentümer keine Entschädigung bekommen. Gegen die öffentliche Nutzung für den Verkehr hatte der Landbesitzer nun geklagt und am Mittwochvom Verwaltungsgericht
Oldenburg Recht bekommen. Zu der ausstehenden Entschädigung sagt Heiko Willms Folgendes:
„Wir haben immer Geld angeboten. Erstens waren dieForderungen des Eigentümers
nicht akzeptabel und zweitens hatten wir auch keine Kontonummer, auf
die wir Geld hätten überweisen können.“ Dumm gelaufen. Zum ersten Mal meldet sich der Eigentümer in der taz zu Wort, möchte aber
anonym bleiben: „Wir ahlen seit Jahrzehnten Deich- und Entwässerungsgebühren
für unser Land. Unsere Kontonummer ist bekannt.“ Tatsächlich, so der Eigentümer, hätte die Gemeindeihnen eine Entschädigung
von 200. 000 Euro angeboten, das entspräche ungefähr dem aktuellen
Verkehrswert der landwirtschaftlich genutzten Fläche. „Aber“, argumentiert der Eigentümer, „mit dem Bau der Straße wird die
landwirtschaftliche Fläche zerschnitten, wir können den anderen Teil nicht
mehr ordentlich verpachten.“ Was aber noch schwerer wiege, mit dem Bau der Straße entstehe am Ortsrand
von Bensersiel eine umschlossene Fläche, die als Bauland ausgewiesen
werden sollte. Das wäre eine Goldgrube geworden, sagt der Eigentümer. Darauf hoffte wohl auch immer noch die Gemeinde, denn unter der Hand wird
in Esens gemunkelt, die Gemeinde wäre bereit gewesen vier Millionen Euro
Entschädigung an den Eigentümer zu zahlen.
„Das ist Quatsch, wir hätten das niemals bezahlt“,erregt sich der
stellvertretende Bürgermeister Willms. Stattdessen hat die Gemeinde nichts bezahlt, aber vorsorglich schon mal
Sozialwohnungen an einen Investor verscherbelt. Sie braucht eine Menge Geld,
wenn es zum Abriss der Straße und zur Entschädigung des Eigentümers
kommt. Eine echte Lösung ist in diesem skurrilen Rechtsstreit, der bundesweit für Hohn
und Spott
sorgt, noch lange nicht in Sicht.Jetzt muss die Stadt erst einmal sicherstellen,
dass dort keine Autos mehr fahren. Wie sie das tut, sei ihr überlassen,
hieß vom Gericht.“