Ostfriesisches Bildungsprogramm -
8 Steine für Moorweg
Die Gemeinde Moorweg wird Findlingsmekka, ein Wallfahrtsort also, der mannigfache Heilung verspricht. Bei welchem Leiden? Man weiß es noch nicht, bislang sind nur die Symptome bekannt. So hört eine Harlinger-Redakteurin zum Beispiel Geschichten, die die Steine erzählen, da sie „vor vielen Milliarden Jahren nach Ostfriesland gewandert“ kamen - a trick of the brain, richtig ist: vor 300.000 bis 130.000 Jahren - und wer ganz genau hinhört, vermeint ein Knirschen zu vernehmen und weiß bald nicht mehr, ob dies aus dem Wandergletscher kommt oder aus der eigenen Rübe.
Zur feierlichen Einweihung des Moorweger Findlingsgartens also erzählen 8 Findlinge ihre Geschichte, und geht man zur rechten Zeit durch Moorweger Vorgärten oder über den Esenser Friedhof, trifft man dort Steine aus der selben Generation, die ebenfalls ihre Geschichte erzählen und das Geplapper ist kaum auszuhalten. Schlimmer ist's nur noch auf Janssens Recyclinganlage in Dunum, wenn dort die Steine ebenfalls ihre Geschichte erzählen und dabei natürlich alle durcheinanderschwatzen.
Auch wurde kürzlich ein Stückchen Koks gefunden, das sich an seine Kohlezeit erinnerte (Kurzzeitgedächtnis) und sogar an Episoden aus seiner hölzernen Urwaldzeit (Langzeitgedächtnis) und davon erzählte; es wirkte insgesamt noch sehr rüstig und liest auch noch täglich diese Zeitung mit dem dreilagigen Lokalteil.
Die Einwohner von Moorweg übrigens hatte Bürgermeister Schröder ausdrücklich zur Einweihung nicht eingeladen: In der Gemeinderatssitzung am 08. Juni 2015 raunte er unter dem Tagesordnungspunkt „Mitteilungen des Bürgermeisters“ den Ratsherren zu, es gebe bald eine neue Attraktion in Moorweg, was genau, sollen sie ihren schriftlichen Einladungen entnehmen, die ja ein jeder vorliegen hätte, sie seien nochmals ausdrücklich um Erscheinen gebeten. Mehr wurde nicht verlautbart und das Publikum rätselte, um was es hier gehen könnte. Vermutlich fürchtete Herr Schröder vor der Presse das kollektive Kopfschütteln der Bürger angesichts des Wackerstein-Ensembles.
So abgefloskelt der geschichtenerzählende Stein auch sein mag, es irrt, wer solchen für einen der dümmsten aller toten Gegenstände hält.
Ein Stein kann mehr und verheißt auch Linderung bei taktiler Schädigung: „Findlinge laden zum darüber streicheln ein“, erklärt Jürgen Schröder, Bürgermeister mit Münchhausen-Zertifikat, und wer's glaubt und eingeschlafene Füße sein eigen nennt, möge sie dort hinschieben und bis zur Erweckung tasten lassen.
Und, da der Wunder nicht genug, „Sehen, Hören und auch Fühlen sind möglich“, was potztausend nun aber wirklich ein Moorweger Alleinstellungsmerkmal, ja Leuchtturmprojekt, und zwar „die Besonderheit eines solchen Angebotes für den ländlichen Raum“ darstellt, und sicher werden daselbst alsbald Gemeindewettkämpfe Holtgast ./. Moorweg im Steinestreicheln und Findlingsbelauschen ausgetragen.
Diesmal punktet dann aber Holtgast bei Streicheloffensive, Lauschangriff und Sehattacke auf Smaland-Granit, Hälleflinta und Braunen Ostseequarz, so heißen die Sportgeräte.
Und demnächst werden dort 13 Stricke aufgehängt, die, wenn sie nass sind, erzählen, daß es geregnet hat.
Ideen- und steinreich ist die Gemeinde Moorweg - Geld ist genug da - und es bleibt zu hoffen, dass deren bestehende Attraktionen mit den neuen kulturellen Errungenschaften nicht in Vergessenheit geraten, als da sind: die Asphaltmüllkippe im Schooer Wald, wo die Gemeinde selbst Ende April ihre restliches Wegebaumaterial verklappt hat, anstatt die Straßenschäden damit zu reparieren; der Ratsherr, der dabei erwischt wurde und den Bürger dafür mit dem Stinkefinger grüßt; der Ortsvorsteher, der das alles gutheißt und dessen selbstverfasste Ratsprotokolle, -vorlagen und -beschlüsse deshalb geheim bleiben; die Nachrichtensperre zum geplanten Tonabbau; die geheimen Vergabekriterien zu Baugrundstücken; die neuen Kompetenzgruppen des Gemeinderates; und ein Bürgermeister, der zur Geisterstunde auf der Kanonenkugel über sein Sperrgebiet reitet.
Jürgen Lohs, Moorweg