Bewertung
1. Prof. Stüer stellte das Urteil als Kehrtwende und aus seiner Sicht als unverständlich dar.
Er forderte eine rechtsgrundsätzliche Klärung , ob bei einer unveränderten Rechtslage ohne weitere Voraussetzung eine Änderung einer einmal getroffenen fachlichen Bewertung von demselben Tatsachengericht vorgenommen werden darf.
Dabei übersieht der Professor geflissentlich, dass sich die Rechtslage objektiv tatsächlich nicht verändert hat, wohl aber der Kenntnisstand des entscheidenden Gerichtes.
Lt. mir vorliegendem Protokoll über den Termin zur mündlichen Verhandlung des 1. Senats beim OVG vom 22.05.2008 “ verneinte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin ( Prof. Stüer) , dass es sich hier um ein faktisches Vogelschutzgebiet handele. Dieser Bereich sei nicht gemeldet worden.”
Nur aufgrund dieser falschen Darstellung hat seinerzeit das Gericht das Normenkontrollverfahren gegen den Bplan 67 zurück gewiesen.
Die selben Richter mussten folge dessen im Eilverfahren um den zwischenzeitlich erstellten Bplan 72 von der falschen Voraussetzung ausgehen, dass die Straßentrasse eben nicht in einem faktischen Vogelschutzgebiet liege .
Hinzu kommt, dass auch im Bplan 72 , Seite 19, seitens der Stadt Esens wieder fälschlicherweise behauptet wird: “ Mit der Meldung des Gebietes an die EU-Kommission steht fest, dass die Straßentrasse nicht im Vogelschutzgebiet liegt und insofern auch nicht den Anforderungen für einen Eingriff in ein faktisches Vogelschutzgebiet zur Anwendung kommen.”
In einem Eilverfahren sind im Gegensatz zu dem Hauptsacheverfahren weitergehende Prüfungen nicht vorzunehmen, so dass die Abweisung der Klage des Grundstückeigentümers die zwangsläufige Folge sein musste.
Dennoch war es seitens des SD mehr als riskant und m.E. gegenüber den Bürgern unserer Stadt nicht vertretbar, unter der Bedingung der Vorläufigkeit des Urteils , mit den Straßenarbeiten zu beginnen bzw. diese fortzusetzen.
Kein privater Bauherr hätte bei vernünftiger Betrachtungsweise ein Haus auf einem Grundstück gebaut, an dem ihm noch nicht die Eigentumsrechte übertragen worden sind.
Bei allem darf nicht übersehen werden, und das ist als richtungsweisend zu bewerten, dass das OVG am 10.04.2013 den Bplan 72 u.a. deshalb als unwirksam ansieht, weil er vor der förmlichen Unterschutzstellung verabschiedet wurde und weder eine Umweltverträglichkeits- noch eine Abweichungsprüfung vorgenommen worden ist.
Das Gericht ging unter dem Eindruck der ständigen Rechsprechung des Europäischen Gerichtshofes sowie des BVG sogar einen Schritt weiter und befand auch die erste Änderung des Bplanes 72 in gleicher Weise für rechtswidrig und somit unwirksam.
Wenn also der Professor , wie wiederholt ausgeführt, eine rechtsgrundsätzliche Klärung verlangt, reicht sowohl ein Blick auf die eindeutige Rechtsprechung in Europa (und auch inzwischen in Deutschland) sowie die Lektüre der Zulassungsvoraussetzungen für eine Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 132 VwGO, um zu erkennen ,wie ein solches Beschwerdeverfahren ausgehen würde und wird.
In diesem Kontext ist also eindeutig festzuhalten, dass man weder von einer Kehrtwende noch von gleichen Fakten sprechen kann, wie der Professor dies gerne täte.
2. Wenn sich der Professor bei der Kritik der aktuellen Gerichtsentscheidung darauf beruft, dass das Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland seitens der EU-Kommission eingestellt wurde und dies auch dem OVG bei seinem Urteil aus 2009 und dem Eilbeschluss aus 2010 bekannt gewesen sei, so gehört zur ganzen Wahrheit auch, dass sowohl die EU-Kommission als auch das Gericht von falschen Voraussetzungen ausgehen mussten.
Dazu verweise ich auf das Schreiben der EU-Kommission vom 10.06.2006, mit dem der Bundesrepublik bei der Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie Verstöße vorgeworfen wurden.
Erst nach einer korrigierenden Nachmeldung seitens des Bundesumweltministeriums im Juli 2009 wurde das Vertragsverletzungsverfahren im Oktober des gleichen Jahres eingestellt.
Dabei blieb dennoch unbemerkt, dass der EU eine falsche Abgrenzung gemeldet worden war.
Bei der Festlegung der Abgrenzung wurde der von der Stadt Esens im Dezember 2006 übermittelte Bebauungsplan Nr.67 vom 28.02.2005 berücksichtigt.
Dass dieser Bebauungsplan rechtsanhängig war, wurde weder dem Niedersächsischen Umweltministerium , dem Bundesumweltministerium und somit schon gar nicht der EU gemeldet.
Siehe Schreiben des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz vom 24.10.2012.
Dort wird u.a. ausgeführt:” Nach Aktendurchsicht ergibt sich kein Hinweis, dass das anhängige Verfahren im Rahmen des öffentlichen Beteiligungsverfahrens bekannt gewesen war”
Wenn sich der Professor bei der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde also auf die Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens stützen will, könnte das zu einem Rohrkrepierer für die Stadt Esens werden.
3.Gleichermaßen bedenklich und höchst riskant bewerte ich die Empfehlung des Professors, die Erweiterung des Landschaftsschutzgebietes beim LK zu beantragen, wie auch das Ansinnen, einen neuen Bebauungsplan zu erstellen , verbunden mit einer Veränderungssperre.
Grundsätzlich scheint mir juristisch nicht durchführbar, eine rechtswidrig gebaute Straße durch einen neuen Bplan und Satzungsbeschluss nachträglich zu legalisieren.
Das zweifellos unantastbare und vorgeschriebene vorherige Prozedere für den Bau einer Straße in Vogelschutzgebieten ist nachträglich schlichtweg nicht zulässig.
Die jetzige Trasse ist “verbrannt” und nicht mehr heilbar.
Naheliegend ist, dass jetzt noch das innerhalb der Entlastungsstraße liegende Gebiet aufgrund der durch die Baumaßnahme zerstörten Natur nicht mehr als Vogelschutzgebiet anzusehen ist und somit für eine bauliche Erweiterung des Ortes Bensersiel zur Verfügung stünde.
So bestehen u.a. nicht mehr die Effektdistanzen (500 m), die für dort anwesenden Vogelarten notwendig sind.
Auch die 18-malige Durchschneidung des Grabensystems sowie Grabenszuschüttungen haben einen nachhaltigen ökologischen Strukturschaden hinterlassen.
Diese baubedingte Herabsetzung der ornithologischen Qualität könnte dazu führen, dass das Gebiet zwischen Straße und Ortsbebauung gar nicht mehr als Vogelschutzgebiet geeignet ist, da die naturschutzfachlichen Voraussetzungen durch den Straßenbau zerstört sind.
Das allerdings kann nur dann eintreffen, solange der Straßenbaukörper tatsächlich existiert und damit seine durchschneidende Wirkung weiterhin entfaltet.
Fakt ist auch, dass das noch anhängige Flurbereinigungsverfahren aufgrund der seinerzeitigen Zulassung zur Revision (am 17.06.09 ) mit Datum vom 01.07.2009 ausgesetzt worden ist.
Sollten, wie zu erwarten ist, die vorliegenden Satzungsbeschlüsse der Stadt für unwirksam und rechtswidrig erklärt werden, ist zwangsläufig das Flurbereinigungsverfahren ebenfalls als rechtlich unwirksam zu betrachten.
Bei einer Fortsetzung des Streitverfahrens besteht die Gefahr, dass auch der östliche Teil Bensersiels - siehe IBA- Schutzgebiet und Statoil -Gutachten - nicht mehr für die Erweiterung von Siedlungsflächen zur Verfügung steht.
Das würde auch bedeuten, dass die dem Eigentümer zu Unrecht entzogenen Ländereien zurück zu geben sind .
Darüber hinaus wäre eine angemessene Entschädigung für die entgangenen Einnahmen und die Erschwernisse aufgrund des Durchschneidungsschadens zu zahlen.
Auch die Verträge der übrigen beteiligten Landwirte wären nach meinem Verständnis wieder rück abzuwickeln, zumal die Rechtsgrundlage entfallen wäre.
Zusammenfassend stelle ich fest:
- Um aus der verfahrenen , aber nach meiner Meinung auch selbstverschuldeten , Situation mit einem “ blauen Auge “ heraus zu kommen, ist eine gütliche und außergerichtliche Einigung mit dem Grundstückseigentümer zwingend geboten.
- Die Ausführungen des SD und des Professors ließen für mich den Schluss zu, dass es nicht mehr um die Sache geht , sondern dass hier ausschließlich persönliche Befindlichkeiten im Spiel sind.
Darauf deuteten auch die abfälligen Bemerkungen über den Antragsteller hin.
- Der Antragsteller wird im Falle eines weitergehen Streitverfahrens ohne Zweifel am Ende den Rückbau der Straße verlangen und auch durchsetzen.
Dieser Schritt ist aus dem Rechtsgrundsatz herzuleiten, dass dem Antragsteller bei rechtswidrig entzogenem Eigentum ein Schadenbeseitigungsanspruch = Wiederherstellung ( Restitution, Status quo ante natura) zusteht, soweit möglich, zulässig und zumutbar.
Können die Folgen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht nicht beseitigt werden, tritt stattdessen ein Folgenentschädigungsanspruch ein.
Auch diese Kosten dürften nicht ohne sein.
Die vom Antragsteller als ultima ratio angekündigte Vorgehensweise , nämlich der Rückbau der Straße, ist aus meiner Sicht auch menschlich verständlich und durchaus nachvollziehbar, wenn ich betrachte, wie mit ihm seitens der Stadt umgesprungen wurde.
Auf den Bürger kommen durch das nach meiner Bewertung nicht verantwortbare Weiterführen des Prozesse folgende Risiken zu:
… geschätzte Kosten für einen Rückbau : 10 Millionen €,
….Rückzahlung von widerrechtlich erhaltenen Zuschüssen ca. 5 Millionen €,
… Entschädigungszahlungen an den Eigentümer, Kosten noch unbekannt,
…Gerichts- und Anwaltskosten von mehr als 200 000,-€
…Kosten für Bauplanungsarbeiten der Fa. Thalen Consult im dreistelligen
Tausender Bereich
Dabei darf nicht übersehen werden, dass wegen des angeblich “freiwilligen” Baustopps lt. Anzeiger vom 30.11. 2011 bereits bis heute nachfolgend aufgeführte zusätzlichen Kosten verursacht wurden.
88.950,04 € für den Anwalt Prof. Stüer,
40.445,96 € für die Bauleitplanung,
199970,69€ Stillstandkosten für Firmen sowie
259182,76 € , die wegen Zeitüberschreitung nicht mehr förderwürdig waren.
Damit ist der Stadt bereits ein Schaden von 589.547,-Euro entstanden, der m.E. hinsichtlich der Verantwortlichkeiten untersucht werden muss.
In dem Zusammenhang verweise ich auf das Protokoll der VA Sitzung vom12.Oktober 2009.
Nicht vergessenen werden darf, dass bei einer Fortsetzung des Rechtsstreites neben den bereits jetzt gezahlten Kosten für den Anwalt, den Gegenanwalt, Gerichts- und Planungskosten in Höhe von ca. 250.000€ weitere Verfahrenskosten auf den Bürger zukommen.
Und das alles ohne jeden Gewinn für die Stadt , stattdessen ein zerstörtes Stück Natur , ein permanenter Ansehensverlust für die Stadt und obendrein noch jede Erweiterungsmöglichkeit Bensersiels für die Zukunft ausgeschlossen..
Wer will dafür ernsthaft die Verantwortung übernehmen?
Die Folge wäre auch, dass Esens haushalterisch nicht mehr handlungsfähig wäre und nach meiner Einschätzung unter Kuratel gestellt werden würde.
Auch dem Rat würden somit dessen Autorität und Befugnisse entzogen.
Von dem erneuten Imageschaden und der Blamage für uns alle möchte ich gar nicht reden.
Ich zeige die Gefahren noch einmal auf, damit sich jedes Ratsmitglied bei den anstehenden Beschlüssen seiner Verantwortung bewusst ist und sich später nicht dieser entziehen kann.
Wir handeln zum Wohl der Bürger und nach eigenem Gewissen.
Sollte es zu der von mir befürchteten und vorstehend aufgezeigten Entwicklung kommen, werde ich die Verantwortlichkeit des SD sowohl hinsichtlich eventueller Regressansprüche als auch nach strafrechtlichen Kriterien , siehe § 266 StGB ( Untreue), gerichtlich überprüfen lassen.
Natürlich gilt im Außenverhältnis zunächst die Amtshaftung, jedoch sind Regressansprüche gegenüber dem Beamten zu prüfen, wenn dieser seine Dienstpflichten verletzt hat.
Das gleiche gilt, wenn der Beamte seinem Dienstherrn einen Schaden zugefügt und dabei grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich gehandelt hat.
Es kann nicht sein, dass der Bürger für zweifelhaftes und grenzwertiges Verhalten von Amtsträgern zur Kasse gebeten wird.
Zum Schluss der Ordnung halber eine Richtigstellung meiner Ausführungen vom 18.04.2013.
Der NABU berichtigte meine Aussage auf Seite fünf zum Golfplatz wie folgt:
“Das stimmt so nicht. Nicht einmal der Golfplatz ist korrekt geplant. Es fehlt eine UVP gemäß FFH - Kriterien, es gibt Alternativen zu der Auswahl des Geländes….es besteht kein wirkliches öffentliches Interesse, einen Golfplatz hier in Ostbense zu errichten. Der Golfplatz ist also ebenfalls rein wirtschaftlich motiviert, was den Erhaltungszielen widerspricht ….”
Ich bin sicher, dass der NABU richtig liegt . Insofern ist meine Annahme, dass der SD im Falle des Golfplatzes rechtskonform gehandelt habe, leider auch nicht zu halten.
Erwin Schultz