Niedersächsischer Landtag - 17. Wahlperiode Drucksache 17/3393
Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung
„Land trickst mit Vogelschutzgebiet“ - Handelt der Umweltminister nach Recht und Gesetz?
Anfrage des Abgeordneten Martin Bäumer (CDU), eingegangen am 21.04.2015
In einem Artikel aus dem Weser-Kurier vom 7. März 2015 heißt es: „Land trickst mit Vogelschutzgebiet -
Urteil schafft weitere Hürde für Rettung illegaler Straße. Die kleine Erweiterung eines Vogelschutzgebietes soll die illegale Umgehungsstraße um den Ferienort Bensersiel (Kreis Wittmund) vor dem
Rückbau retten. Ein neues Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg könnte das Vorhaben torpedieren. Außerdem ist nicht klar, ob die EUKommission
die Tricksereien mitmacht.“
Dabei geht es ausweislich des Weser-Kuriers um eine vor vier Jahren gebaute kommunale Entlastungsstraße, die in einem 2,1 km langen Bogen um das Hafenörtchen Bensersiel herum führe. Der Bau
dieser Straße habe 8,4 Millionen Euro gekostet, wovon der Bund und das Land drei Viertel übernommen hätten. Diese Finanzierung sei entsprechend dem genannten Zeitungsbericht damals zweifelhaft
gewesen und rief auch den Landesrechnungshof
auf den Plan. Aufgrund vorhandener wertbestimmender Vogelarten hätte es zudem ein weit größeres Problem wegen des Vorstoßes gegen entsprechende EU-Richtlinien
gegeben.
Deshalb sei die Straße vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht (1. Senat) und
Bundesverwaltungsgericht für rechtswidrig erklärt worden. „Die unzulässige Straßenplanung in einem faktischen Vogelschutzgebiet wird nicht durch eine nachträgliche Gebietsmeldung geheilt“,
urteilten laut Zeitung die Leipziger Richter vor einem Jahr. Auch das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg (15. Senat) hätte jetzt geurteilt, dass der ursprüngliche Bebauungsplan
null und nichtig sei und deshalb auch die darauf fußende Flurbereinigung aufgehoben werden müsse, weil wegen der Rechtsunwirksamkeit der Bebauungspläne kein Grund zur Besitzentziehung mehr
vorliege. In der Folge müsste ein klagender Grundstückseigentümer aus Dortmund, dem im Zuge des Straßenbaus Grundstücke weggenommen wurden, diese Grundstücke jetzt zurückerhalten. Dies ginge aber
nur, wenn die Umgehungsstraße abgerissen
würde, was zu Rückbau- und Entschädigungskosten in Höhe von mehr als 10 Millionen Euro führen könnte. In das Flurbereinigungsverfahren seien nämlich 162 Teilnehmer involviert; falls dieses
Verfahren nun rückabgewickelt werden würde, müssten erhebliche Geldsummen an Teilnehmer zurückgezahlt werden, was einen sehr großen organisatorischen, rechtlichen und kostenmäßigen Aufwand mit
sich bringen würde.
Umweltminister Stefan Wenzel spricht in dem genannten Artikel daher von einer „;total vermurksten Situation‘,
für die allerdings die CDU/FDP-Vorgängerregierung verantwortlich sei.“ Das niedersächsische Landeskabinett habe Anfang Februar 2015 einer Ausweitung des Vogelschutzgebiets zugestimmt.
Diese Neuabgrenzung beruht nach Einschätzung von Rechts- und Naturschutzexperten auf einer gesetzeswidrigen Anwendung des europäischen Naturschutzrechts und Missachtung der in derselben
Angelegenheit bereits ergangenen Urteile des Bundesverwaltungsgerichtes und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes. Außerdem soll die Neuabgrenzung des Vogelschutzgebietes „auf
ausnahmslos veralteten, obsoleten und irrelevant gewordenen
ornithologischen Bestandsdaten“ ruhen, die teilweise bis zu 19 Jahre alt sein sollen und weit vor dem Straßenbau erhoben worden waren, sodass sie nicht mehr gültig seien.
Vor dem Hintergrund, dass dem Land Niedersachsen durch eine fehlerhafte Abgrenzung eines Vogelschutzgebietes hohe Strafzahlungen drohen, frage ich die
Landesregierung:
1. Warum hat das Kabinett am 2. Februar 2015 trotz begründeter naturschutzfachlicher und
naturschutzrechtlicher Einwendungen verschiedener Beteiligter des Anhörungsverfahrens eine Neuabgrenzung des Vogelschutzgebietes beschlossen?
2. Welchen Einfluss hatten die Urteile des Bundesverwaltungsgerichtes 4 CN 3.13 vom 27. März 2014 sowie
4 BN 37.13 vom 13. Januar 2014 und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes (1 KN 33/10 vom 10. April 2014), und sind diese Urteile rechtlich mit dem Kabinettsbeschluss vom 2. Februar 2015
in Einklang zu bringen?
3. Welche aktuellen ornithologischen Bestandsdaten liegen dem Kabinettbeschluss vom 2. Februar 2015
zugrunde?
4. Wer hat diese Daten zu welchem Zeitpunkt erhoben?
5. Stimmt das angewendete Verfahren zur Datenerhebung mit dem Schutzregime des Natura-2000-Netzes
und seinem Aktualitäts- und Vorsorgeprinzip überein?
6. Von wem und wann ist die jetzt der EU-Kommission gemeldete Erweiterungsfläche gutachterlich beurteilt
worden?
7. Welche wertbestimmenden Vogelarten sind auf der Erweiterungsfläche gezählt und auf welchen
Bestandskarten für die Erweiterungsfläche eingetragen worden?
8. Welche Kontakte hat es zwischen dem Umweltministerium und dem in Dortmund wohnenden Eigentümer der
Flächen gegeben?
9. Hat es seitens des Umweltministeriums Bemühungen gegeben, die Angelegenheit in gemeinsamen Gesprächen
mit dem Landkreis Wittmund, der Stadt Esens und dem Grundstückseigentümer zu klären?
10. Wer haftet, wenn die jetzt vom Kabinett beschlossene Neuabgrenzung vor der EUKommission
scheitern sollte?
11. Warum ist eine Teilfläche östlich von Bensersiel, die nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen
Oberverwaltungsgerichtes, des Bundesverwaltungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes zweifellos ein faktisches Vogelschutzgebiet darstellt, bei der Neuabgrenzung nicht berücksichtigt und
nicht ornithologisch bewertet worden?
(Ausgegeben am 04.05.2015)