Bis zur Seite sechs der schriftlich dargelegten Urteilsbegründung befasst sich das Bundesverwaltungsgericht ausführlich mit dem Ablauf des gesamten Verfahrenes zu den Bebauungsplänen Nr. 67 und Nr. 72.
Da ich darüber bereits ausführlich berichtet habe , möchte ich an dieser Stelle der Übersichtlichkeit wegen auf weitere Ausführungen dazu verzichten.
Zur Erinnerung :
Mit Datum 22. Mai 2008 hatte das OVG Lüneburg den Normenkontrollantrag des Antragstellers gegen den Bplan Nr.67 abgelehnt.
Dagegen hatte sich der Kläger gewehrt mit einem Revisionsantrag vor dem BVG. Mit Beschluss vom 17. Juni 2009 wurde die Revision zugelassen.
Da den handelnden Vertretern der Stadt Esens scheinbar doch Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bplanes Nr. 67 gekommen waren und sie also um dessen Bestand bangen mussten, stellte sie kurzerhand einen neuen Bebauungsplan unter der Nr.72 auf, der im Wesentlichen inhaltsgleich mit dem Bplan Nr. 67 war.
Da der Kläger auch gegen diesen Bebauungsplan Nr.72 einen Normenkontrollantrag stellte, hatte der 4. Senat das Verfahren gegen den Bplan Nr. 67 bis zur Entscheidung über den Bplan Nr.72 ausgesetzt.
Nur noch zum besseren Verständnis:
Der Bplan Nr.72 war vom OVG mit Normenkontrollurteil vom 10. April 2013 als rechtwidrig befunden worden und nun hatte den Bplan Nr. 67 am 27. März 2014 in der mündlichen Verhandlung vor dem BVG ...erwartungsgemäß... das gleiche Schicksal ereilt.
Dazu liegt nunmehr das schriftliche Urteil im Wortlaut vor.
Das BVG legt unter Abschnitt II ausführlich und detailliert seine Entscheidungsgründe dar und stellt eingangs fest, dass die Revision begründet ist und dass das vom Kläger angegriffene Normenkontrollurteil des OVG Lüneburg vom 22. Mai 2008 ….seinerzeit zugunsten der Stadt Esens..... Bundesrecht verletzt.
In Folge dessen erklärt der entscheidende Senat jetzt den Bebauungsplan Nr. 67 der Antragsgegnerin( = Stadt Esens ) ebenfalls für unwirksam.
Diese Entscheidung war zu erwarten gewesen und war im Übrigen der ausschließliche Grund dafür, dass u.a. auch ich versucht habe , dieses Urteil durch den Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs mit dem seinerzeitigen Kläger zu verhindern.
Mit Verkündung des Urteils ist jede Rechtsgrundlage für die vorhandene Straße und somit auch das noch anhängige Flurbereinigungsverfahren entfallen.
Einige bedeutsame Leitsätze des BVG zur Entscheidungsbegründung :
Die Stadt Esens hätte zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses im Jahr 2004 wissen , zumindest aber davon ausgehen müssen, dass das Plangebiet in einem faktischen Vogelschutzgebiet liege.
Dass das OVG seinerzeit aufgrund der Nachmeldung der Abgrenzung des Vogelschutzgebietes V63 angenommen habe, dass damit die fehlerhafte Einschätzung „ von vornherein plausibel“ und somit geheilt sei, verstoße gegen Bundesrecht.
Das BVG bestätigt die Auslegung des OVG dahin gehend , dass das Plangebiet bei Satzungsbeschluss dem Schutz der Vogelschutz-Richtlinie unterstanden und damit der Planung „an sich“ entgegen gestanden habe.
„Nur überragende Gemeinwohlbelange wie etwa der Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen oder der Schutz der öffentlichen Sicherheit sind geeignet, das Beeinträchtigungs - und Störungsverbot des Art.4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL zu überwinden.“
Weiterhin definiert das Gericht den Begriff des faktischen Vogelschutzgebietes und weist dem IBA - Verzeichnis eine bei der Festlegung dieser Gebiete „maßgebliche Rolle“ zu und bezeichnet das Verzeichnis als „bedeutsames Erkenntnismittel“.
Seine Indizwirkung kann nur durch einen wissenschaftlichen Beweis widerlegt werden.
Diesen Beweis hat die Stadt zu keinem Zeitpunkt antreten können.
Da die Straße zweifellos in dem IBA - Gebiet Norden - Esens lag, musste davon ausgegangen werden, dass es sich dabei um ein faktisches Vogelschutzgebiet handelt.
Somit unterlag das Planungsgebiet dem strengen Schutzregime der V – RL für faktische Vogelschutzgebiete.
Ferner stellt das BVG eindeutig fest, dass die Annahme des OVG , das strenge Schutzregime sei im „Nachhinein“ entfallen, weil das Land das Vogelschutzgebiet V63 nachgemeldet habe.... wobei das Schutzgebiet bis an die Trasse der Entlastungsstraße heranreiche, diese aber nicht mit einschließe.... nicht im Einklang mit dem Bundesrecht stehe.
Weiterhin befasst sich das BVG mit dem Gebietsauswahl - und Meldeverfahren von Vogelschutzgebieten und der Frage von sachwidrigen Erwägungen.
Es stellt in dem Zusammenhang unmissverständlich heraus, dass die Identifizierung Europäischer Vogelschutzgebiete sich ausschließlich an ornithologischen Kriterien zu orientieren habe.
„Eine Abwägung mit anderen Belangen findet nicht statt.“
Das BVG bemängelt weiterhin die Entscheidung des OVG, die Stadt könne aufgrund der Nachmeldung des V 63 seitens des Landes rückwirkend profitieren.
Das Bundesverwaltungsgericht hält dem entgegen, das OVG „ habe bereits den für für die Beurteilung der Rechtsgültigkeit von Rechtsnormen maßgeblichen Zeitpunkt verkannt.“
Nachfolgend eine bedeutende Aussage des BVG, die mich im Übrigen in meiner Rechtsauffassung bestätigt :
„ Rechtsnormen, die unter Verletzung ( zwingenden) höherrangigen Rechts, das in dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt zu beachten war, zustande gekommen sind, sind im Grundsatz von Anfang an ( ex tunc ) und ohne Weiteres ( ipso jure ) unwirksam, soweit sich nicht aufgrund gesetzlicher Sonderregelungen anderes ergibt“.
Dies gilt jedenfalls für den bei der Aufstellung des Bplanes Nr. 67 begangenen Verstoß gegen Unionsrecht, da „ausweislich des entsprechend anzuwendenden § 1a Abs.4 BauGB der nationale Gesetzgeber die Unwirksamkeit von Bebauungsplänen anordnet, die unter Verstoß gegen Regelungen des Gebietsschutzes für „Natura2000“ - Gebiete erlassen worden sind“.
Eine weitere Kernaussage :
Bei der Abwägung bei Bebauungsplänen bestimmt § 214 Abs. 3 Satz 1 BAUGB , dass die Sach – und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Satzung maßgebend ist.
Dazu stellt das BVG unmissverständlich fest, dass „der planenden Gemeinde ( = Stadt Esens) in diesem Zeitpunkt ein beachtlicher Abwägungsfehler unterlaufen ist“.
Die Folge , so das BVG, der Bebauungsplan 67 konnte auf der Grundlage dieses Satzungsbeschlusses nicht wirksam werden.
Damit dürfte ein für allemal sicher gestellt sein, dass die immer wieder ins Gespräch gebrachte „Heilung“ von rechtswidrigen Beschlüssen nachträglich schlichtweg nicht möglich ist.
Verstößt die Rechtsnorm = Satzung...wie im vorliegenden Fall... in dem zutreffenden Zeitpunkt gegen Art 4 Abs. 3 Satz 1 der V-RL, ist sie von Anfang an unwirksam!!!
Ergo : auf die zwei Jahre später nachgemeldete Abgrenzung ( V 63 ) konnte und durfte sich die Stadt nicht berufen, einziges Erkenntnismittel war zu diesem Zeitpunkt das IBA – Verzeichnis......die Planung unterlag ohne jeden Zweifel ausschließlich dem strengen Schutzregime der V-RL.
Zwar lässt die neuere Rechtsprechung zum „maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt“ im Planverfahren zu, dass spätere Rechtsänderungen zu berücksichtigen seien, jedoch auch nur, wenn dadurch ein vorliegender Rechtsverstoß weg fällt.
Diese zum Fachplanungsrecht ergangene Rechtsprechung lässt sich aber nicht auf Bebauungspläne übertragen......wie fälschlicherweise von der Stadt Esens vorgenommen.
Ein weiterer richtungsweisender Satz aus der Urteilsbegründung des BVG :
„Die Satzung...gemeint ist der Bplan Nr. 67....kann nicht aufgrund einer späteren Rechtsänderung wieder „zum Leben erweckt“ werden.“
( weil er unter Verletzung höherrangigen Rechtes zustande gekommen war !!!)
Unter Zugrundelegung dieses Urteils dürfte sich...wie ich schon seit Monaten voraussage... die Neuplanung, mit dem Ziel, die vorhandene Straße durch nachträgliche Satzungsbeschlüsse, wie in der Ratssitzung am 04.November 2013 geschehen, erledigt haben.
Zu denken geben muss einem allerdings die Tatsache , dass der Rechtsbeistand den Stadtrat mühelos überzeugen ….oder überreden....konnte, zu beschließen, „die erste Änderung des Bebauungsplanes Nr.67 „Kommunale Entlastungsstraße Bensersiel“ der Stadt Esens gem. § 2 Abs.1 des Baugesetzbuches (BauGB) aufzustellen“ und darüber hinaus sogar „für den vorgenannten Geltungsbereich eine Veränderungssperre gem. BauGB zu erlassen“ … siehe Sitzungsvorlage ST / 343/2013 vom 29.10.2013.
Meine bereits damals unbeantwortete Frage, wie man denn einen rechtswidrigen und nicht mehr existenten Bebauungsplan, zumal er sogar noch gegen höherrangiges Recht verstoße, „sichern“ wolle , ist nach wie vor unbeantwortet.
Im Gegenteil, trotz langatmiger , zweieinhalb Seiten langer juristisch fragwürdiger Begründung der Beschlussvorlage , erschließt sich mir bis heute nicht, wie ein inzwischen nicht mehr existenter Bebauungsplan, der nach Feststellung des BVG darüber hinaus von Beginn an rechtswidrig war, d.h. , zu keinem Zeitpunkt überhaupt jemals eine Rechtswirkung hätte entfalten können.... juristisch also ein Nullum..... „geheilt“ werden kann !!!!
Es kommt noch dicker : diese rechtswidrig gebaute Straße will der Rechtsbeistand Professor Stüer, und in seinem Gefolge die Ratsmehrheit , auch noch mit einer Veränderungssperre belegen....an Naivität oder auch möglicherweise an Unverfrorenheit wahrhaftig nicht mehr zu überbieten.
De facto soll der Rat also erneut mit einer Satzung höherrangiges Europa- und nationales Recht aushebeln.....
Esens gegen den Rest der Welt, koste es was es wolle !!!
Abschließend:
Natürlich konnte ich für diese Information meiner Mitbürger nur einige grundsätzliche Aussagen des Gerichtes benennen und z.T.kommentieren.
Die Fragen, die sich jetzt stellen :
Wie werden sich der Umweltminister als Federführender im neuen Abgrenzungsverfahren, der Landkreis und der Rat der Stadt unter dem Eindruck diese Urteils verhalten ?
Werden die Ratsmitglieder , die den so wichtigen gütlichen Vergleich mit dem Eigentümer zu Fall gebracht und somit die jetzt herrschende Situation herbeigeführt haben, endlich auch Verantwortung für ihr schädliches Verhalten übernehmen?
Geklärt werden muss jetzt in aller Dringlichkeit und Intensität die Frage nach den Schuldigen für die desolate Lage, in der sich die Stadt jetzt befindet.
Dazu verweise ich erneut auf unseren bereits seit Wochen eingebrachten Antrag für die nächste Ratssitzung mit den Teilanträgen : sofortige Trennung vom Rechtsbeistand, Prüfung der Frage, ob möglicherweise die Stadt permanent falsch beraten wurde und ob sich somit zwangsläufig die Frage nach einer Schadenshaftung durch den Anwalt stellt.
Darüber hinaus haben wir die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses gefordert, der prüfen soll, ob Ratsmitglieder seit der Planung der Straße möglicherweise vorsätzlich, zumindest aber grob fahrlässig, gegen geltendes Recht verstoßen haben.
Meine bereits mehrfach geäußerte Befürchtung :
Die Gefahr des Rückbaus der Straße mit den damit verbundenen Kosten sowie die Rückzahlung des Landeszuschusses von mehr als fünf Millionen Euro ist nicht mehr nur theoretischer Natur...dieses Szenario stellt sich nach diesem Urteil als äußerst realistisch dar....mit für unsere Stadt dramatischen finanziellen Folgen.