Nachvollziehbar ist, dass der Rechtsanwalt Prof. Stüer nach mehr als 10 Jahren
„Trainertätigkeit“ bei der Stadt Esens die desolate Lage unserer Kommune, in der er sie bei fürstlichem Gehalt geführt hat, nicht eingestehen will. Denn dann müsste er eigentlich aus moralischen Gründen schon selber anbieten, wenigstens einen Teil seines die gesetzlichen Gebühren überschreitenden Honorars zurückzuzahlen.
Nicht nachvollziehbar ist aber die Reaktion der Mehrheit der Ratsvertreter, die weiterhin den leichtfertigen Versprechungen ihres Anwalts folgen statt aus den
deutlichen Worten der Richter des BVerwG und OVG Konsequenzen zu ziehen.
Würden die Ratsvertreter als Privatpersonen einen solchen Prozess führen, hätten sie längst „nach dem Vieraugenprinzip“ einen weiteren, von der Angelegenheit bisher unbelasteten Anwalt konsultiert. Nur weil der Bürger es bezahlt, werden erneut Millionen für die Verschleppung durch neue, langjährige Verfahren ausgegeben; denn wenn über diese Prozesse entschieden wird, werden sie nicht mehr im Rat der Stadt Esens Verantwortung tragen und der Anwalt der Stadt Esens wird dann vermutlich ebenfalls in Rente sein.
Verzweifelt ist die Situation für die wenigen Ratsvertreter und – Vertreterinnen, die
sich die Mühe gemacht haben, die Urteile aufmerksam zu lesen, und die rechtliche
Lage der kommunalen Entlastungsstraße zutreffend einschätzen. Um eine weitere
Kostenexplosion abzuwehren, möchten sie jetzt unter Beteiligung des Eigentümers
die Probleme lösen. Die Entscheidung von Mittwoch muss jedoch - nach den
deutlichen Urteilen des BVerwG und des OVG - dem Eigentümer wie eine weitere
„Kriegserklärung“ erscheinen und hat daher eine – auch im Hinblick auf die neuen
Bebauungspläne unerlässliche - Einigung mit ihm in weite Ferne gerückt, vielleicht
sogar endgültig verhindert.
Das dürfte auch dem Anwalt der Stadt Esens klar sein. Aber vielleicht ist ihm das
auch nur recht, denn so kann er sich noch einige Jahre in den üppigen Honoraren der Stadt Esens für mehrere neue Bebauungsplan - und gerichtliche Normenkontrollverfahren – um eine seiner Lieblingsformulierungen zu zitieren – „auskömmlich einrichten“ .
Hintergangen werden die Bürger und Bürgerinnen der Stadt Esens, denen zum xten Mal versprochen wird, dass durch die neuen Bebauungspläne die Straße
"rechtssicher" werde.
RA Prof. Stüer und leider auch StD Jürgen Buß berufen sich dabei fälschlicherweise darauf, dass "im Urteil des BVG Leipzig inklusive Begründung kein Rückbau gefordert wird" und folgern daraus, dass kein Rückbau erfolgen wird.
Das ist jedoch ein fataler Zirkelschluss:
Denn in den Normenkontrollverfahren vor dem OVG und BVerwG war lediglich beantragt, die Rechtswirksamkeit der Bebauungspläne zu überprüfen - nicht des Straßenbaues. Daher stand es den Richtern gar nicht zu, sich zu einem möglichen Rückbau zu äußern - genauso wenig wie sie etwas zu der Schuldfrage oder das Anwaltshonorar gesagt haben. Deshalb lässt sich aus der fehlenden Rückbauforderung aber nicht folgern, dass das Gericht den rechtswidrigen Straßenbau für reparabel hält und daher keinen Rückbau anordnet.
Für den aufmerksamen Leser der schriftlichen Urteilsbegründung1 erschließt sich sogar das Gegenteil. Nach der Auffassung des entscheidenden Senates des BverwG "widerspricht" das Vorgehen der Stadt Esens "dem Sanktionscharakter, den der Europäische Gerichtshof dem strengen Schutzregime des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der V-RL beimisst". (siehe Urteil vom 27.3.2014, Rand - Nr.29)
a) Der Senat legt in seinem Urteil ausführlich und begründend dar, dass das
europäische Recht bei der Genehmigung von Projekten in einem Schutzgebiet
ein sehr strenges Verfahren fordert, das in vier zeitlich und systematisch
aufeinander folgenden Stufen zu erfolgen hat:
die Unterschutzstellung gemäß Art.7 FFH - Richtlinie (RL) -
die an den Erhaltungszielen orientierte Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß Art.6 Abs.3 FFH-RL -
die Abweichungsprüfung gemäß Art.6 Abs.4 FFH-RL -
Genehmigung des Plans bzw. Satzungsbeschlusses und erst anschließend der Planvollzug, z.B. des Straßenbaues.
"Die über Art. 7 i.V.m. Art. 6 Abs. 3 und 4 der FFH-RL, § 36 i.V.m. § 34 Abs. 1 und 3 bis 5 BNatSchG eröffnete Möglichkeit, einen Plan aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses ...durchzuführen, auch wenn er ein Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen kann, setzt die strikte Beachtung der habitatschutzrechtlichen Verfahrensanforderungen ... voraus..... Diese verfahrens- und materiell-rechtlichen Planungsanforderungen sind für den Vogelschutz substantiell von Bedeutung. Sie entfielen, wollte man ... die nach Abschluss der Straßenplanung vorgenommene Gebietsnachmeldung als fachliche Bestätigung der <von vornherein plausiblen> Annahmen der Antragsgegnerin zur Abgrenzung des faktischen Vogelschutzgebiets akzeptieren." (Urteil vom 27.3.2014, Rand - Nr.31)
Diese kategorisch angeordnete Reihenfolge hat die Stadt Esens nicht eingehalten.
Da die Straße aber bereits fertig gebaut ist (Schritt 4), können die Schritte 1-3 logischerweise nicht mehr dem Schritt 4 vorangehen.
Deshalb kommt das BVerwG zu dem Schluss, dass eine nachträgliche Heilung nicht mehr möglich ist.
Dieses Ergebnis schließt auch die Möglichkeit der nachträglichen Erstellung
neuer Bebauungspläne aus. Denn solange diese von einem Vogelschutzgebiet
berührt sind - und das ist auch bei der geplanten Neuabgrenzung der Fall -
müssen die habitatschutzrechtlichen Verfahrensanforderungen bei der Aufstellung
neuer Bebauungspläne strikt beachtet werden. Solange die Straße bestehen
bleibt, bleibt Schritt 4 aber vollzogen und es ist aus logischen Gründe
unmöglich, dass die Schritte 1-3 vor dem Schritt 4 abgewickelt werden können.
Mit anderen Worten, der Verstoß gegen europäisches Recht wird zwingender Weise immer auch in die neuen Bebauungsplanverfahren "mitgeschleppt" und wird die Bebauungspläne somit aus denselben Gründen, die das BVerwG zum
Bebauungsplan Nr.67 dargelegt hat, rechtsunwirksam bleiben lassen.
Dazu hat das BVerwG ausgeführt (Urteil vom 27.3.2014, Rand - Nr.33):
"Rechtsnormen, die unter Verletzung höherrangigen Rechts zustande gekommen sind, sind nicht nur - wie ausgeführt - von Anfang an (ex tunc) und ohne weiteres (ipso iure) unwirksam; sie bleiben es auch.... Planerhaltungsvorschriften kommen insoweit nicht in Betracht."
b) Ein weiterer wesentlicher Rechtsgrundsatz im Unionsrecht, den das BVerwG in
seiner Urteilsbegründung zu einem tragenden Entscheidungsgrund erhoben hat,
beruht darauf, dass "ein Mitgliedstaat aus der Missachtung seiner unionsrechtlichen Pflichten keinen Vorteil ziehen soll. Einen solchen Vorteil nimmt der Europäische Gerichtshof an, wenn sich ein Mitgliedstaat, der unter Verstoß gegen die Vogelschutz-Richtlinie ein Gebiet nicht zum besonderen Schutzgebiet erklärt, obwohl dies nach fachlichen Gesichtspunkten erforderlich gewesen wäre, sich auf Art. 6
Abs. 3 und 4 der FFH-RL berufen könnte." (Urteil vom 27.3.2014, Rand - Nr. 29).
Damit hat das BVerwG festgelegt, dass die Stadt Esens aus ihrem rechtswidrigen
Vorgehen keinen Vorteil behalten darf. Somit muss jeder Versuch der
Stadt Esens, ihr unrechtmäßiges Verhalten durch die Aufstellung neuer
Verfahren (Bebauungspläne) zu heilen, ins Leere laufen, weil es das Ziel dieser
neuen Bebauungspläne ist, einen rechtswidrig erworbenen Vorteil zum Nachteil
des Eigentümers endgültig und auf Dauer behalten zu wollen. Das aber
widerspricht dem grundlegenden europäischen Rechtsempfinden.
c) Das BVerwG hat auf dieser Rechtsgrundlage der ungerechtfertigten Bereicherung außerdem entschieden, dass die Stadt Esens sogar zweimal gegen ihre unionsrechtlichen Pflichten verstoßen hat, indem sie zum einen die Straße vor der Unterschutzstellung geplant und gebaut hat und zum anderen sich damit
auch noch der Notwendigkeit der Umweltverträglichkeits- und Abweichungsprüfung entzogen hat; so heißt es in dem Urteil v. 27.3.14, Rand - Nr. 30:
"Hätte die Meldung oder Ausweisung des Vogelschutzgebiets V 63 bereits im Zeitpunkt der Straßenplanung vorgelegen, wäre die Antragsgegnerin gemäß Art. 7 i.V.m. Art. 6 Abs. 3 der FFH-RL, § 34 Abs. 1 BNatSchG gehalten gewesen, die Auswirkungen der Straße auf diese Erhaltungsziele im Rahmen einer Verträglichkeitsprüfung zu untersuchen bzw. gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 7 Buchst. b, § 1a Abs. 4 BauGB zu berücksichtigen....
Unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts hätte die planende Gemeinde damit einen doppelten Vorteil: Sie würde einerseits von der Abgrenzung des nachgemeldeten Gebiets profitieren, andererseits könnten ihr die Erhaltungsziele und Schutzzwecke dieses nachgemeldeten Gebiets aber nicht entgegen gehalten werden. Diese doppelte Vorteilslage liefe der Sanktionsrechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erst recht zuwider." (Urteil vom 27.3.14,Rand - Nr. 30)
d) Nach der Rechtsauffassung des BVerwG kann der Trassenverlauf auch deshalb
nicht rechtswirksam werden, weil durch "die vorangehenden Planungen" der
Stadt Esens (m.a.W. den vollzogenen Straßenbau) bereits vollendete Tatsachen
geschaffen worden sind, die andere Abgrenzungen "unrealistisch werden lassen"
und somit die Entscheidungsbefugnis der EU bei der Abgrenzung von
Vogelschutzgebieten rechtswidrig einschränken. So heißt es dazu im Urteil vom
27.3.2014, Rand - Nr.30)
"Diese doppelte Vorteilslage liefe der Sanktionsrechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erst recht zuwider. Das gilt umso mehr, als das Land Niedersachsen die Abgrenzung des nachgemeldeten Vogelschutzgebiets V 63 nach eigenem Bekunden <unter Berücksichtigung des Bebauungsplans Nr. 67 vorgenommen> hat (vgl.
OVG Lüneburg, Urteil vom 10. April 2013 a.a.O.<428>). Damit tritt ein
weiterer Zweck des strengen Schutzregimes für faktische Vogelschutzgebiete zu Tage, der darin besteht, eine an ornithologisch-fachlichen Kriterien ausgerichtete Gebietsausweisung und -abgrenzung offen zu halten und nicht durch vorangehende Planungen unrealistisch werden zu lassen." (Leitsatz des Urteils vom 27.3.2014 und Rand - Nr. 30).
Obige Ausführungen lassen meiner Meinung nach eindeutig den Schluss zu, dass der Rechtsberater den Rat und die Verwaltung in ein nicht überschaubares Abenteuer und Risiko schickt...und das über viele Jahre und mit hohen Kosten für den Bürger.
Mir stellt sich allerdings auch die Frage, warum der Rat in seiner Mehrheit das nicht erkennen will oder kann?